Im Oktober 1992 starb mit Willy Brandt einer der wichtigsten Politiker der Bundesrepublik. Sein Sohn Lars hat nun ein Erinnerungsbuch veröffentlicht, das sich abhebt von den vielen anderen Publikationen über diesen großen Mann: Keine Biografie und schon gar keine politische Analyse, sondern ein sehr persönlicher Blick zurück, der gerade durch diese Mischung aus Nähe und Distanz fasziniert. Nah und distanziert zugleich war auch das Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Lars Brandt schreibt, er könne sich nicht erinnern, dass V. -- das Kürzel benutzt er durchgängig -- ihn als Kind jemals in den Arm genommen oder über den Kopf gestreichelt habe. Und dennoch war da eine Verbundenheit, die Lars Brandt später als Erwachsenen sogar zum Redenschreiber für seinen Vater prädestinierte. "Hätte man diesen Menschen von seinen Widersprüchen befreien wollen, wäre wenig von ihm übrig geblieben." Glücklicherweise versucht das sein Sohn auch gar nicht, sondern präsentiert meist kurze Erinnerungsbilder, Fußnoten zu einem großen Leben, die literarisch anmuten und trotz ihrer Knappheit berühren und diesen Mann mit seinen Eigenarten nahe bringen. Etwa Brandts Vorliebe für immer kleinere Kämmerchen, in die er sich privat zurückziehen konnte, während die Dienstvillen während seines Aufstiegs zum mächtigsten Mann des Staates immer größer wurden. Oder der Widerspruch, dass er als Politiker die Massen emotional begeistern konnte, aber gleichzeitig in persönlichen Begegnungen Menschen enttäuschte, wenn er "Emotionen wachrief, ohne ihnen wirklich zu antworten". Lars Brandt war sechs Jahre alt, als sein Vater Regierender Bürgermeister Berlins wurde. Andenken gewährt deshalb auch einen spannenden, teils auch amüsanten Blick hinter die Kulissen der Macht. Wie es ist, mit den Kennedy-Kindern in der Limousine zu sitzen und ihnen etwas über Berlin erzählen zu sollen, während die ihre Nasen aber lieber in Comics vergraben. Oder viel später, bei einem Staatsbesuch der Ceausescus in Bonn, beim Gespräch mit dem Sohn des Diktators: "Beide waren wir kaum Mitte Zwanzig, aber Nicu setzte die Pausen für den Dolmetscher bereits so routiniert wie ein Minister. […] Und nun hob er an, die vorzügliche Situation der Studenten in Rumänien darzulegen, reihte die strahlendsten Zahlenkolonnen aneinander. Dann wurde er wieder persönlich und krönte sein statistisches Märchen vom rumänischen Paradies: Zwölf Bären habe ich letzte Saison erlegt, rief er mir zu: Und Sie?" --Christian Stahl Quelle:
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