Jede Revolution hat ihre Helden und Mythen. Das gilt im Prinzip auch für die 68er-Studentenrebellion in Deutschland. Wären da nicht die Schrecken des RAF-Terrors gewesen und die enttäuschenden Resultate des "Marsches durch die Institutionen". Rudi Dutschke ist einer der wenigen, die über jeden Zweifel erhaben geblieben sind. Rund ein Vierteljahrhundert nach seinem allzu frühen Tod an den Spätfolgen eines Attentats hat seine Witwe Gretchen nun die Tagebücher des Revoluzzers veröffentlicht. Keine leichte Kost, wie sich denken lässt, wenn man den linksradikalen Schwadroneur noch im Ohr hat. Vom Gutmenschen zum Politzombie und wieder zurück -- die Geschichte erinnert an Harrison Ford, der in einem Hollywood-Streifen nach einem Kopfschuss ein vollkommen anderer Mensch wird. Während uns Dutschke anfangs eher als antiautoritärer Träumer begegnet, für den Jesus Christus der "Welt größter Revolutionär" war, entwickelt er im Zuge seiner Politisierung zunehmend einen Hang zur Unterdrückung der emotionalen, nichtmateriellen Seite seines Wesens. In dieser Phase werden seine Aufzeichnungen praktisch unlesbar -- eine konfuse und unpersönliche Melange aus politischem Terminkalender und ideologischer Stoffsammlung, ein offenes Buch allenfalls für den Psychologen. Nach dem Attentat vom 11. April 1968 die krasse Wandlung: Selbstreflexionen, Gefühle, Anteilnahme, Angst vor Ersetzbarkeit und Entbehrlichkeit. Ordnung in das Chaos bringt Gretchen. Das Nachwort der Dutschke-Witwe, die heute als "politische Aktivistin" in ihrer Heimat USA lebt, entschädigt für vieles. Eine Seele von Mensch und brillant im Urteilsvermögen, liefert sie die passenden Interpretationen. "Rudi beschäftigte sich mit den Islamisten, mit Öl, mit Terrorismus, Krieg und dem Imperialismus. Diese Themen sind auch heutzutage aktuell. Da ich hoffe und auch glaube, daß Rudi uns heute noch etwas zu sagen hat, entschloß ich mich, seine Tagebücher zu veröffentlichen". Ein weit gehend gelungener Versuch, Dutschke auf die Füße zu stellen -- und wegen seiner Bedeutung für die bundesdeutsche Zeitgeschichte nicht nur etwas für APO-Opas. --Roland Detsch Quelle:
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