Kollegen aus der Branche staunten im Jahr 2004 nicht schlecht angesichts der Enthüllungen eines der Ihren. Ein angesehener Journalist hatte sich als langjähriger Heroin-Junkie geoutet. Der Begriff vom "Doppelleben" klebte fortan wie eine Marke an Jörg Böckem. Sein Bekennerschreiben Lass mich die Nacht überleben machte Furore, Beckmann rief, 3sat Kulturzeit berichtete, Spiegel und Stern, für die Böckem tätig war, widmeten Artikel dem aus der Drogenhölle Zurückgekehrten. Böckem schien in ein Wespennest gestochen zu haben, wie die zahlreichen Briefe von Angehörigen und Betroffenen zeigten, die in der Folge bei ihm eintrudelten. Eine deutliche Sprache über die ungeheure Dunkelziffer an Suchtkranken in unserer Gesellschaft. In seinem neuen Buch hat Böckem sieben dieser Schicksale näher beleuchtet. Keine schöne Lektüre, womöglich aber lebensrettend! Eines vorweg: Sieben ähnlich bedrückende Abstiege in Drogenabhängigkeit, Alkoholismus und Essstörung, wie bei der 17-jährigen Laura --, dies alles im sachlichen Reportagestil gehalten --, solch thematische Engführung kann auch für den seriösesten Leser zum Bleigewicht werden, zumal Böckem, willentlich oder aus Unfähigkeit, seinen Schilderungen sämtliche Farben entzieht. So entsteht auch hier der "Grauschleier eines merkwürdig distanzierten Therapieprotokolls", wie schon die TAZ angesichts des ersten Buches feststellte. Prägende Muster lassen sich allemal herauslesen, wie der alkoholkranke Vater im Falle des Hamburger Drogenfahnders, der selbst auf bedrückende Weise dem Stoff zum Opfer fiel. Böckem interviewt Co-Abhängige, blättert die Geschichte des Schauspielers Alexander Scheer auf, der nach dem Mauerfall im Westen zum Höhenflug ansetzte -- und ganz unten landete. Stellt uns den Theaterregisseur Georg und seinen unmenschlichen Kampf gegen die Flasche vor. Langsam beginnt man sich zu fragen, in welch schockgefrorener Gesellschaft wir eigentlich leben, wenn selbst in kreuzbürgerlichen Kreisen nur noch die Droge Linderung zu verschaffen mag. Im Anhang erklärt ein Wissenschaftler der Uni Heidelberg Wirkungsweisen psychoaktiver Substanzen und Mechanismen des Suchtverhaltens anhand der geschilderten Fälle Düstere und aufrüttelnde Biografien -- einige vorzeitig beendet --, die man sich tunlichst nur häppchenweise zuführen sollte. –Ravi Unger Quelle:
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