Henri Cartier-Bresson, der Mitbegründer der weltbekannten Fotoagentur Magnum, erläuterte 1952 in einem Essay die Möglichkeit, mithilfe der Fotografie die Wirklichkeit zu beobachten und festzuhalten. In der Fotoarbeit Milch aus dem Jahr 1984 zeigt der kanadische Fotokünstler Jeff Wall einen auf dem Gehweg sitzenden jungen Mann. In seiner rechten Hand hält dieser eine Milchtüte, aus der die weiße Flüssigkeit in einem spektakulären Bogen herausspritzt. Diese auf den ersten Blick echt wirkende Fotoaufnahme ist durchwegs arrangiert und widerspricht damit dem Mythos des von Cartier-Bresson beschriebenen "entscheidenden Augenblicks" in der Fotografie. In seinen Aufnahmen überlässt der 1946 in Vancouver geborene Jeff Wall nichts dem Zufall. Die in Schwarz-Weiß und Farbe komponierten Bilder zeigen bis ins Detail inszenierte Orte und Lebenssituationen. Dabei haben viele der Fotografien den Charakter von Filmstills und erzählen eine Geschichte, deren Verlauf sich in der Fantasie des Betrachters weiterentwickelt. So scheinen in der Arbeit Mimik zwei eine Straße entlang gehende Männer in Streit zu geraten, wobei der eine der beiden, von einer Frau begleitet, den anderen mit einer beleidigenden Geste provoziert. Die Spannung der Situation gestaltet Jeff Wall auch durch die gekonnte Aufteilung des Bildraumes in einen unscharfen Hintergrund und einen präzisen, die Handlung betonenden Vordergrund sowie eine dramatische Lichtgestaltung mit langen Schlagschatten. Darüber hinaus wird die Wirkung seiner Aufnahmen im Rahmen von Ausstellungen durch die Präsentation der Lichtbilder als Diapositive in Leuchtkästen von enormer Größe unterstützt. Diese ziehen den Zuschauer geradezu in die abgebildete Situation mit hinein. Das Katalogbuch zeigt 36 ausgewählte Werke aus den Jahren 1978 bis 2000 in ganzseitigen Bildtafeln und zahlreichen Detailaufnahmen, wobei die hervorragend reproduzierten Fotografien auch in dieser Darstellung ihre Ausstrahlung entfalten. Zahlreiche Texte und drei ausführliche Gespräche mit Jeff Wall beschreiben dessen Bildideen und Arbeitsweisen. Auf diese Weise gelingt es der Publikation, sowohl den intellektuellen Hintergrund des Kunsttheoretikers Jeff Wall als auch seine künstlerische Fotoarbeit umfassend und verständlich zu vermitteln. --Stefan Meyer Quelle:
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