Bis heute zehrt Leni Riefenstahl von dem Ruhm, den ihr ihre in dunkelster Zeit perfekt gemachten Propagandafilme für die Nationalsozialisten eingetragen haben. Für ihr filmisches Genie lässt sich die am 22. August 1902 in Berlin geborene Diva nach wie vor gerne feiern. Auf die vollkommene Übereinstimmung ihrer Filmästhetik mit den ästhetischen Idealen der nationalsozialistischen Ideologie freilich mag sie gar nicht gerne angesprochen werden. Sie ist es leid, von kleinen Geistern immer wieder mit Schmutz beworfen zu werden, wo es ihr doch nach ihrer festen Überzeugung gebührte, dass man ihr angesichts ihrer künstlerischen Großartigkeit mit Ehrfurcht und Bewunderung begegnete. Von so etwas wie der in dem bewegenden Buch Bis zur letzten Stunde und dem nicht minder bewegenden Film Im toten Winkel dokumentierten Scham, die Hitlers Sekretärin Traudl Junge in späten Jahren wegen der Naivität empfand, mit der sie als junge Frau dem personalisierten Bösen diente, findet sich bei Riefenstahl nicht die geringste Spur. Nun hat sich mit Lutz Kinkel also schon wieder jemand herausgenommen, statt auf die Größe der Schöpferin solch großartiger Filmkunstwerke wie Triumph des Willens (1934), Tag der Freiheit! -- Unsere Wehrmacht (1935) oder Olympia -- Fest der Schönheit (1936) schonungslos auf die Fakten dieses nunmehr fast hundertjährigen Lebens zu blicken, ohne sich von dem Schein blenden zu lassen, den die Lichtbildkünstlerin über Jahrzehnte auf dieses Leben zu werfen verstand. Tatsächlich ist das Resultat keine Jubelschrift zum Hundertsten. Herausgekommen ist vielmehr eine sauber recherchierte Biografie, die die moralischen Schattenseiten des narzisstischen Genies ausleuchtet, die symptomatisch sind für den kollektiven Selbstbetrug, mit dem so viele Mittäter und Mitläufer nach dem Krieg ihr moralisches Versagen -- oft genug erfolgreich -- zu relativieren verstanden. Die von Leni Riefenstahl zu diesem Zweck gesponnenen Legenden, wie etwa diejenige, ihre Olympia-Filme seien keine Propagandafilme gewesen, sondern unabhängig produzierte Kunstwerke, werden von Kinkel anhand des vorhandenen Dokumentenmaterials glasklar widerlegt. Tatsächlich nämlich war die Riefenstahl'sche Olympiafilm GmbH nachweislich nichts anderes als eine Tarnfirma der Nationalsozialisten. Und auch die von ihr immer wieder vorgebrachte Behauptung, Propagandaminister Goebbels habe ihr wegen der Erfolglosigkeit seiner sexuellen Avancen fortwährend Steine in den Weg gelegt, findet in den Akten ihre Widerlegung. Kinkel hat ein grundsolide recherchiertes Buch vorgelegt, das unter die Debatte über die Riefenstahl einen würdigen Schlussstrich zieht. Nun darf sie noch ihren hundertsten Geburtstag feiern, und dann wollen wir sie alle vergessen. --Andreas Vierecke Quelle:
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