Es war die größte Katastrophe in der Geschichte der Seefahrt: Am 30. Januar 1945 verließ das ehemalige Kraft-durch-Freude-Kreuzfahrtschiff "Wilhem Gustloff" mit 6.100 Flüchtlingen an Bord Gotenhafen und wurde vor Stolpermünde von einem sowjetischen U-Boot aufgebracht. Drei der kommunistischen Heimat und ihrem Diktator gewidmete Torpedos durchbohrten das Schiff, das in knapp einer Stunde versank; mehr als 5.000 Menschen kamen ums Leben. Ein Untergang nach dem Untergang: Das Tausendjährige Reich war längst Geschichte, und Roosevelt bereits auf dem Weg nach Jalta, um mit Stalin und Churchill die neuen Grenzen abzustecken. Die Tragödie in der Ostsee hat Günter Grass seit jeher interessiert. In Romanen wie Katz und Maus und Die Rättin wird erwähnt, dass die Nebenfigur der Tulla Pokriefke das Unglück knapp überlebte. Nun hat der Autor dem Ereignis auf hoher See eine historische, dabei aktuell-brisante Novelle gewidmet. In Im Krebsgang wird der Sohn von Tulla beauftragt, die längst vergessene Geschichte aus den Fluten des kollektiven Gedächtnisses zu bergen. Eher widerwillig recherchiert der Journalist und Ich-Erzähler im Internet, tummelt sich in den abstrusen Chatrooms der Neonazis, beleuchtet die Biografien des Schweizer NS-Landesgruppenführers Wilhelm Gustloff, seines jüdischen Attentäters David Frankfurter und des U-Bootkommandanten der sowjetischen Rotbannerflotte Alexander Marinesko -- und versucht sich schließlich im Erzählprozess ganz "an Bord der 'Gustloff' zu denken", um die tödliche Katastrophe vor den Augen seiner Leser wieder lebendig werden zu lassen. Dabei fördert er ein menschliches Drama zu Tage, das bis in unsere Gegenwart hineingreift und nicht zuletzt seine eigene Familie betrifft. In Katz und Maus war die durch das Dickicht der Wiesen streifende Katze Metapher eines vorsichtig neugierigen, "lauernden" und ständig die Richtung wechselnden Erzählens. In Grass' neuer Novelle ist es der seitliche, mögliche Feinde täuschende Gang des Krebses, der die stetig zwischen Gestern und Heute wechselnde Erzählperspektive symbolisiert und dem großartigen schmalen Band seinen Namen gab. Entgegen der Bescheidenheit des Ich-Erzählers ("ich berichte nur") ist Grass endlich wieder ein kleines Meisterwerk gelungen. Spannend verwoben, kunst- und humorvoll zugleich. --Thomas Köster Quelle:
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