Nur zwei Jahre nachdem Heinrich August Winklers Der lange Weg nach Westen erstmals aufgelegt wurde, gilt diese glänzende zweibändige Studie über die jüngere deutsche Geschichte bereits als Standardwerk -- und dies zu Recht. Urteilssicher und angenehm ungeschwätzig legt der Autor darin die historischen Entwicklungslinien vom Ende des Alten Reiches im Jahre 1806 bis zur Wiedervereinigung 1990 frei. Dass auch nach 1806 die politische Geschichte Deutschlands keinen voraussetzungslosen Anfang nehmen konnte, versteht sich von selbst. Winkler trägt den tief verwurzelten Bestimmungsgründen deutscher Befindlichkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einem glänzenden Einleitungskapitel Rechnung, das er treffend "Prägungen: Das Erbe eines Jahrtausends" überschrieben hat. Auf gerade einmal etwas mehr als 30 Seiten erfährt man hier mehr über die tiefen Wurzeln der einen oder anderen deutschen Besonderheit, als in so manchem dicken Kompendium über die deutsche (Vor-)Geschichte. Ebenso prägnant und urteilssicher wie die Vorgeschichte präsentiert uns der Autor dann auch die deutschen (Ab- und Irr-)Wege durch die Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Dabei wird noch einmal überdeutlich, wie sehr sich bis Weimar die obrigkeitsstaatlich geprägte deutsche politische Kultur und das politische Bewusstsein der Deutschen von dem demokratisch entwickelteren Politikverständnis in England sowie in Frankreich unterschied. Und noch einmal deutlich vor Augen geführt wird uns auch, wie tief der Bruch der Weimarer Republik mit dieser Tradition war. Sehr viel tiefer zumindest, als die obrigkeitsstaatliche Seele der politischen Eliten zu verkraften vermochte. Den der verspäteten Demokratisierung vorangehenden Nationalsozialismus schildert Winkler unter anderem, in dem er ihn abgrenzt gegen die faschistischen Bewegungen in anderen europäischen Ländern, namentlich in Italien, Spanien und Portugal. Als unvergleichlich radikaler erweist sich dabei einmal mehr die totalitäre politische "Religiosität" des Nationalsozialismus. Auch die auf "die deutsche Katastrophe" folgenden Wegmarken der deutschen Geschichte von der Teilung bis zur deutschen Einheit 1990 analysiert Heinrich August Winkler mit einem beeindruckend souveränen Urteil, das es ihm erlaubt, die komplexen politisch-historischen Prozesse überzeugend auf ihren Nenner zu bringen. --Andreas Vierecke Quelle:
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