Wer war Max Scheler? Den meisten ist dieser Philosoph bestenfalls durch eine immer wieder gerne kolportierte Anekdote bekannt. Als der Begründer der phänomenologischen Wertethik auf die Widersprüche zwischen den in seinen Werken verkündeten ethischen Maßstäben und seiner nicht immer vorbildlichen Lebensführung angesprochen wurde, soll er geantwortet haben: "Von einem Wegweiser erwartet man schließlich auch nicht, dass er den angezeigten Weg geht." Diese kleine Geschichte sagt viel über das Temperament und die schillernde Persönlichkeit eines Denkers aus, der von Zeitgenossen wie Martin Heidegger und Ernst Robert Curtius als spekulatives Genie gefeiert wurde, das es versteht, die neuesten Ergebnisse der Natur- und Sozialwissenschaften mit differenzierten phänomenologischen Wesensanalysen zu verbinden. Sein früher Tod 1928 im Alter von nur 54 Jahren und die Unterdrückung seines Werkes durch die Nationalsozialisten dürften dafür verantwortlich sein, dass die Rezeption dieser Ausnahmeerscheinung der Philosophie der 20er Jahre schlagartig unterbrochen wurde und bis heute keine philosophisch relevante Fortsetzung gefunden hat. Dies ist umso mehr zu bedauern als Scheler nicht nur zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen wie die Wissenssoziologie oder die Anthropologie maßgeblich beeinflusst hat, sondern auch in aktuellen Diskussionen der Neurowissenschaften und der Ethik zahlreiche Anregungen bieten könnte. Inzwischen liegt eine umfangreiche Gesamtausgabe seines Werkes -- einschließlich des Nachlasses, der alleine fünf Bände ausmacht -- für die fachphilosophische Auseinandersetzung vor. Der Einsteiger bzw. die philosophisch interessierte Öffentlichkeit hat nun dank einer von Paul Good herausgegebenen Textsammlung die Möglichkeit, anhand von repräsentativen Texten einen ersten Einstieg in das facettenreiche Werk Schelers zu finden. Die Anthologie enthält neben zwei kürzeren, vollständig abgedruckten Schriften Auszüge aus den drei vielleicht bedeutendsten philosophischen Werken Schelers, nämlich Wesen und Formen der Sympathie (1913), Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik (1916) und Vom Ewigen im Menschen (1917), in denen er seine eigene Spielart der Phänomenologie ausführte. Die vielleicht etwas zu knapp geratene Einleitung des Herausgebers stellt die Textauszüge in den Kontext von Leben und Gesamtwerk Schelers. --Jens Kertscher Quelle:
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