Wo waren Sie gestern zwischen elf und zwölf Uhr? Die berühmte Krimifrage könnte ich nicht beantworten. Ich weiß nur noch, daß ich ins Auto gestiegen bin und den Wagen eine knappe Stunde später wieder verlassen habe. Inzwischen hatte ich wohl eingekauft und manches erledigt. Eigentlich aber war ich in Israel: Batya Gur hielt mich in Atem mit der Hörspielfassung ihres Bestsellers Du sollst nicht begehren. Für Religionsferne: Der Titel stammt aus der Bibel: "Du sollst nicht begehren nach dem Hause deines Nächsten, du sollst nicht begehren nach dem Weibe deines Nächsten, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, nach seinem Kinde oder seinem Esel, nach irgend etwas, was dein Nächster hat." Es ist das letzte der Zehn Gebote, die Gott Moses auf dem Berge Sinai gab, aber es ist der Kern aller Kriminalhandlung: Das Begehren, das böse, schwarze, immer ist es das Begehren, was uns treibt. Erst dann kommen die restlichen Übel der Welt: das Stehlen, das Morden. Vor allem -- Krimileser wissen es -- das Morden. Hier begehren viele etwas: Alte Kibbuzniks begehren die Reinheit ihrer Ideale (und sollte es das Leben kosten), das Mordopfer begehrte zuvor Rache für Demütigungen, der berühmte Knesset-Abgeordnete begehrt die Geliebte seiner Jugendtage. Ein Gewirr, das den Hörer -- die Regie von Corinne Frottier sorgt dafür -- dennoch zu keiner Zeit verwirrt. Nicht zuletzt dank charakteristischer Stimmen: Hannelore Hoger einmal nicht als Bella Block zu hören ist ein Vergnügen. Schade, daß das Booklet keine Angaben zur Musik macht, denn sie trägt den Hörer in ein Israel zwischen Kibbuzromantik und Jetztzeit. --Michael Winteroll Quelle:
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