Mitten im kalten Krieg, im Jahr 1960 forderte die russische Zeitung Istwestija die Schriftsteller der Welt auf, ihren 27. September bestmöglich in Worten festzuhalten. Auch in der DDR folgten zahlreiche Autoren dem Aufruf, so Thomas Brasch, der sich zum Gedicht "Der schöne 27. September" inspirieren ließ: "Ich habe keine Zeitung gelesen./Ich habe keiner Frau nachgesehen", heißt es da. Und, am Ende, etwas resigniert: "Ich habe keinen Stein ins Rollen gebracht." An jenem 27. September 1960 erwachte im Amselweg in Halle die Schriftstellerin Christa Wolf mit dem Gedanken, dass dieser Tag wohl anders verlaufen würde als geplant. Am Abend, als Wolf einschlief, hatte sich der Satz bestätigt. Er wird es von nun ab jedes Jahr aufs Neue tun. Denn Christa Wolf hat nicht mehr aufgehört, ihren 27. September zu beschreiben, über 40 Jahre nicht, teils mit großem Widerwillen, um zu erforschen, auf welch verschlungenen Wegen "Leben zustande kommt". Herausgekommen ist das bewegende Stenogramm eines Autoren-Daseins: Eine "Protokoll-Serie" voll kluger Reflexionen, die zugleich auch Schlaglichter wirft auf den Alltag in der DDR und im Deutschland nach der Wende. Leider fehlt ausgerechnet jener September, der der Menschheit wie kein zweiter im kollektiven Gedächtnis geblieben ist, auch wenn das zu beschreibende Ereignis, der Terrorakt gegen das World Trade Center in New York im Jahr 2001, gut zwei Wochen vor Wolfs Stichtag lag. Interessant wäre es aber dennoch gewesen, jene Gedanken zu lesen, die der Autorin nach dem Ereignis beim Aufwachen oder Einschlafen durch den Kopf geschossen sind. Aber vielleicht gibt es ja bald einen zweiten Band. --Thomas Köster Quelle:
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