"Fear & loathing in L.E." oder "Die Ballade von Max und Jessie" "Ich kokse auf dem Rücken liegend, schaufele es mir mit dem abgelutschten Eisstiel in die Nasenlöcher. Die Sterne sind blau." Nein, das ist nicht eben das, was sich Normalsterbliche unter dem Alltag eines jungen Karrierejuristen vorstellen. Eigentlich gilt Max, der lieber Cooper heißen würde, als gewiefter Spezialist für Völkerrecht: "Mäx the mäximal". Bis ihn die Katastrophe aus der wirklichen Welt katapultiert, zum Drogen-Zombie macht: Seine Freundin Jessie, engelsgleiche Kindfrau, Tochter eines millionenschweren Drogenkönigs, schießt sich, während sie mit Max telefoniert, in den Kopf. Ihre letzten Worte: "Ich glaube, die Tiger sind wieder da." Die Radiomoderatorin Clara, so gewieft wie zäh, eine Lara Croft mit DAT-Recorder, will die ganze Geschichte. In Rückblenden entfaltet sich so das private Drama von Jessie und Max, das sich als Teil einer viel größeren, politischen Tragödie erweist: Jessie ist in internationale Drogengeschäfte verwickelt, mit denen große Teile des Krieges auf dem Balkan finanziert werden. Die "Tiger" sind die Killer des serbischen Milizenführers Arkan. Und auch Max muss erkennen, dass er als EU-Osterweiterungsexperte im Dienst des organisierten Verbrechens stand. Politischer Kriminalroman, Liebesgeschichte, Roadmovie, Drogentrip -- und eine Parabel über das Auseinanderfallen von Recht und Gerechtigkeit: Ist das nicht ein bisschen viel für ein, wenn auch 450 Seiten dickes, Buch? Kann das gut gehen? Es geht hervorragend, weil die Autorin, bei aller Stimmigkeit im Detail, keinen "realistischen" Krimi abspult. Gekonnt jongliert sie stattdessen mit Versatzstücken aus Film noir, MTV-Clips und Pulp Fiction. Ihre Schauplätze, Wien und Leipzig, haben mit den realen Städten nicht allzu viel zu tun. Eine trashige Kulisse, fast leere Wohnungen, in denen das Kokain im Eisschrank und ein Haufen Zaster unter der Bodendielung liegt. Juli Zehs Sprache ist kraftvoll, wütend, zuweilen drastisch und mit Hang zum Morbiden, zeugt von großer poetischer Kraft. Erstaunlich auch, wie souverän die Motive und die mitunter verwirrenden Handlungsfäden am Ende zusammengeführt werden -- das Buch liest sich spannend bis zur letzten Seite. "Der Himmel über uns ist blassgrau und von hinten beleuchtet wie ein leerer Computermonitor", schreibt Juli Zeh. "Falls es einen Gott gibt, sitzt er dahinter und programmiert den zweiten August neunundneunzig." Falls Gott sich langweilen und der Bestsellerliste des Spiegel nicht über den Weg trauen sollte, empfehle ich ihm dringend die Lektüre von Adler und Engel. Ein traumwandlerisch sicher hingelegter Roman, exakt zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Die Kollegen von der Pop-Fraktion werden sich warm anziehen müssen. --Niklas Feldtkamp Quelle:
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