"Wir dürfen nicht mehr auf die Geschichte sehen, wir müssen den Menschen suchen. Denn der Mensch ist die einzige Münze, mit der auf dieser Welt gehandelt wird. Sein Wert bestimmt alle Werte. Er ist die Geschichte oder sollte sie jedenfalls sein. Die Achtung vor ihm haben wir verloren, das macht auch die Geschichte wesenlos. Finden wir ihn und die Achtung vor ihm, dem einzelnen, wieder, entdecken wir die Geschichte neu." Diese Sätze finden sich in dem Abituraufsatz von Günter Gaus mit dem Titel "Die Geschichte sind wir" aus dem Jahr 1949, der im Anhang zu seiner unvollendet gebliebenen Autobiografie abgedruckt ist, und sie können durchaus als Motto für seinen Lebensweg nach dem Krieg gelesen werden. Einem großen Publikum bekannt geworden ist Günter Gaus durch seine Fernsehinterviews. Weit über zweihundert Zwiegespräche mit Menschen, die in der einen oder anderen Form an der deutschen Nachkriegsgeschichte mitgewirkt haben, hat er von 1963 bis zu seinem Tod im Jahr 2004 geführt. "Zur Person", "Zu Protokoll", "Deutsche" hießen die Sendungen, die mal vom ZDF, mal von einer der ARD-Anstalten ausgestrahlt wurden. Ludwig Erhard, Gustav Gründgens und Edward Teller waren bei ihm ebenso zu Gast, wie Franz-Josef Strauß, Arthur Koestler, Hannah Arendt, Herbert Wehner, Willy Brandt, Henry Kissinger oder Christian Klar, um nur einige wenige herauszugreifen. Mit diesen Interviews, aber auch als politischer Redakteur bei verschiedenen Zeitungen, als Programmdirektor des Südwestfunks, Chefredakteur des Spiegel und auch als Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR (eines der Kapitel, die abzufassen Gaus leider nicht mehr die Zeit blieb) hat er die deutsche Zeit- und Mediengeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg dokumentiert und mitgestaltet. Seine (glänzend geschriebenen!) Widersprüche bieten auch als Fragment eine ausgesprochen lesenswerte Geschichtsbetrachtung ganz nach dem Motto seines Abitursaufsatzes: "Die Geschichte sind wir". -- Andreas Vierecke Quelle:
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