Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) war eitel. Stets kleidete sich der Pfarrerssohn und Verfasser der Minna von Barnhelm (1767) nach dem letzten Schrei. So konnte Goethe beim Betrachten eines Lessing-Gemäldes von Oswald May aus dem Jahre 1768 notieren, dass der Aufklärer dort in einem "nicht mehr gefallenden und wirklich etwas steifen Modecostüm" zu sehen sei: Für Lessings Biografen Willi Jasper Indiz dafür, dass das Bild nach älteren Stichen gefertigt sein müsse. Zum Porträtieren jedenfalls fand Lessing, dessen Projekt als Dramaturg am neu gegründeten Deutschen Nationaltheater just 1768 gescheitert war, tatsächlich kaum noch die Muße; zu sehr war er verstrickt ins Geistesleben seiner Zeit, als er auch nur einige Minuten hätte still stehen können. Bei Biografien ist es oft wie bei Porträts von Lessing: Nicht selten wirken sie schon im Erscheinungsjahr etwas angestaubt -- und überhaupt schreibt zumeist ein Autor vom anderen ab. Im Fall des Potsdamer Germanistikprofessors und Mitarbeiters am Mendelssohn-Zentrum Willi Jasper ist das sicher anders, und wie viel Erstaunliches er allein aus Lessings Breslauer Zeit ans Tageslicht gefördert hat, verdient höchstes Lob. Aber auch die Abschnitte über die Berliner bzw. Wolfenbütteler Zeit oder Lessings Italienreise liest man mit Gewinn. Besondere Aufmerksamkeit wird der Freundschaft zu Moses Mendelssohn sowie der Rezeptionsgeschichte "Faust contra Nathan" gewidmet, die Jasper ebenfalls als Geschichte jüdischer und antijüdischer Legendenbildung begreift. Da hat man bei der Lektüre manchmal das Gefühl, als habe sich Lessing doch noch eine Weile die Zeit genommen und seinem Biografen Modell gesessen. Kritisch anzumerken ist da eigentlich nur, dass manche Folgerung (wie die zu Goethes Kritik am May-Porträt) vielleicht etwas weit hergeholt erscheint. Und dass der im Untertitel platzierte Terminus des "Judenfreunds" etwas befremdet. Alles in allem aber ist Jasper das Porträt eines überraschend jung und modern wirkenden Lessing gelungen, das die letzte große Arbeit zum Thema -- Dieter Hildebrandts Biografie einer Emanzipation von 1979 -- mehr als ergänzt. Der Biograf müsse mit dem Talent gesegnet sein, "durch das Äußerliche eines Menschen sein Inneres zu erkennen", zitiert Jasper den Physiognomiker Lavater. Im Fall des "unheimlichen" Klassikers Lessing ist ihm das trefflich geglückt. --Thomas Köster Quelle:
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