Als amerikanische Truppen im Herbst 1944 nach Deutschland vorstießen, folgte ihnen ein junger Offizier der Abteilung für psychologische Kriegsführung. Wie ein Ethnologe, "der in das Gebiet eines unbekannten Stammes eindringt", wollte Saul K. Padover erforschen, was in den Köpfen der Besiegten vorging. Die Deutschen, denen er in den Flüchtlingslagern und besetzten Städten begegnete, waren noch nicht dem kollektiven Vergessen anheimgefallen. Ihre Antworten kamen ungefiltert und ihre Lügen waren leicht durchschaubar. Hitler hatte eine breite Anhängerschaft quer durch alle Schichten der Bevölkerung, und auch wer kein überzeugter Nazi war, dachte zumeist deutsch-national. Und eines ist ganz offensichtlich: das Wissen um die Verbrechen des Regimes war weiter verbreitet, als dies später gerne behauptet wurde. Warum sonst fürchteten sich viele vor einem Aufstand der Zwangsarbeiter und der Vergeltung der Sieger? Lügendetektor offenbart die Seelenlage einer besiegten Nation: Selbstmitleid und kollektive Depression, Haß und unbelehrbare Arroganz, hartherzig und von einem vagen Schuldgefühl. Und derart autoritätshörig und dokumentengläubig, daß sich Padovers Kameraden zunächst amüsiert zeigten über diese "leidenschaftlichen Sammler von Papieren, zumal von amtlich beglaubigten, mit Unterschrift und Stempel versehenen Papieren", bis ihnen klarwurde, daß dies das Verhalten von Sklaven war, die Bürokraten anbeteten. Ausweise waren etwas Heiliges, Menschen nicht. "Erst sehr viel später", schreibt Padover, "als ich in Buchenwald in einer Ecke die Leichenberge und in einer anderen die sorgfältig aufbewahrten Papiere der Ermordeten sah, wurde mir eine Eigentümlichkeit der Deutschen bewußt: es machte ihnen nichts aus, Menschen zu verbrennen, aber Dokumente wurden niemals verbrannt." Padovers Buch, 1946 erstmals erschienen, hat in seiner schonungslosen Offenheit auch nach einem halben Jahrhundert nichts an Brisanz verloren.--Stephan Fingerle Quelle:
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