Das neueste Buch von Ilse Aichinger ist ein kulturelles Ereignis. Die zuletzt erschienenen anspruchsvollen Texte der Autorin gelten als schwierig bis hermetisch. Film und Verhängnis. Blitzlichter auf ein Leben dagegen erläutert mit unglaublich lakonischem Humor die Gedankenwelt der bedeutenden österreichischen Schriftstellerin. Erlebnisse und Begegnungen im Wien der Vorkriegs- und Kriegsjahre stehen im Mittelpunkt des ersten Buchteiles. Ilse Aichingers Verhängnis, unter Hitler einer halb-jüdischen Familie anzugehören, ist untrennbar von Erinnerungen an ihre beginnende Kinopassion. Die Flucht der Zwillingsschwester nach England, die Deportation der Großmutter und Tante sind Traumata, die die eigene Existenz in Frage stellen: "Ich mache den Ermordeten ihr Verschwinden nur stümperhaft nach: ich gehe ins Kino." Auszüge aus "Das Journal des Verschwindens", einer für die österreichische Tageszeitung Der Standard entworfenen Serie von Filmbesprechungen, bilden den zweiten Abschnitt des Buches. Anstatt geradliniger Rezensionen entstand ein "Journal intime", das an Gedankenreichtum kaum zu überbieten ist. In unverwechselbarem Stil, dessen Ernst feine Ironie nicht entbehrt, enthüllt Ilse Aichinger unvermutete Querverbindungen in der Film- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. In all dieses Wissen und Suchen und Finden sind Aphorismen wie aus tiefer Erfahrung gehobene Schätze eingestreut: "Erinnerung begreift sich nicht zu Ende" oder "Aber erst wer das Finden aufgibt, ist der Suche gewachsen". Film und Verhängnis ist nicht nur ein Buch für Cineasten. Es ist ein wertvolles Zeitzeugnis. Ereignisse, an die wir uns immer erinnern sollten, werden so nicht verschwinden, auch wenn das eigene Verschwinden Ilse Aichingers frühester und stärkster Wunsch ist. "Der Tod im Kino: eigentlich etwas Anzustrebendes. Besser als der Tod im Krankenhaus. Aber nicht in jedem Kino, und sicher nicht bei jedem Film. Agonien sind noch viel mehr als Euphorien auf Qualität angewiesen." --Beatrice Simonsen Quelle:
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