Mit glühender Nadel gestrickt ist diese fundierte Auseinandersetzung des Musikjournalisten Bernd Feuchtner mit Dimitri Schostakowitsch, seiner Musik und ihren zeitgeschichtlichen Hintergründen. Der Autor legt ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Schaffen Schostkowitschs und seiner verborgenen systemkritischen Haltung ab. Er beschreibt kenntnisreich die komplexe politische Situation im vor- und nachrevolutionären Russland und schildert in beklemmend eindringlicher Weise die Gräueltaten vor allem des Stalin-Regimes, das ungezählte Intellektuelle und Andersdenkende verschwinden ließ und liquidierte. Die ausführlichen Werkbesprechungen, die Feuchtner zu einigen Stücken des porträtierten Komponisten liefert, lassen parallel zur Lektüre auch eine nähere Beschäftigung des Lesers mit der Musik selbst angeraten erscheinen, um neben ihrer rein musikalischen Qualität auch die darin verborgene außermusikalische Dimension zu erfassen. Dimitri Schostakowitsch schlug nach der schrecklichen Ächtung seiner Oper Lady Macbeth von Mzensk im Jahre 1935 einen äußerlich systemkonformen Kurs ein, um wenigstens überleben zu können. Westliche Beobachter erlebten den späteren Vorsitzenden des Komponistenverbandes, wie er blass und mit monotoner Stimme offizielle Verlautbarungen vom Blatt ablas, die ihm offensichtlich zuwider waren. Dennoch begann sich in der westlichen Welt erst in den 60er-Jahren langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass Schostakowitsch in Wahrheit nicht linientreu war, sondern sich vielmehr auf einer schmalen Gratwanderung zwischen offiziellem Funktionieren und innerer Abstandnahme befand. Die 1979, vier Jahre nach Schostakowitschs Tod, erstmals veröffentlichten Tonbandprotokolle der Gespräche Solomon Volkows mit dem Komponisten trugen, obwohl bezüglich ihrer Echtheit immer wieder angezweifelt, zu einem veränderten Schostakowitsch-Bild bei. Bernd Feuchtner versucht aus der profunden Kenntnis des Gesamtwerks heraus eine Exegese, die von der offiziellen, häufig auch von Schostakowitsch selbst unterstützten Lesart fundamental abweicht. Selbstverständlich lassen sich solche "Auslegungen", die auf genauem Hinhören, genauer Analyse der Stücke und vielfältigen Querbezügen basieren, niemals letztgültig beweisen, zumal Schostakowitsch immer wieder gezwungen war, populistische Programme zu den Werken zu formulieren. Dennoch legt der Blick auf seine gesamte Biografie es nahe, ihn als gebrochenes, leidtragendes Opfer eines unmenschlichen Systems zu betrachten, der die Wahrheit über seine Musik größtenteils mit ins Grab nahm und vielleicht auf zukünftige Untersuchungen wie die vorliegende hoffte. --Michael Wersin Quelle:
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