Die Rezeptions-Renaissance des lange Zeit in Vergessenheit geratenen Malergenies "Meister Mathis" alias Matthias Grünewald (um 1480 bis 1528) ist ein Kind der Moderne: Gewagte Farbgebung und die expressive Darstellung menschlichen Leidens etwa auf der berühmten Kreuzigungstafel des Isenheimer Altars machten seine Kunst nicht nur für den Expressionismus interessant. Da scheint es nicht verwunderlich, dass die erste bahnbrechende Studie über Grünewald von Heinrich Alfred Schmid 1911 erschien: im selben Jahr, in dem Wassily Kandindsky das erste abstrakte Gemälde der Kunstgeschichte schuf. Heute stehen gleich vier Künstler zur Disposition, die man im 16. Jahrhundert "Meister Mathis" nannte -- ein Aspekt, der der Grünewald-Forschung zu immer neuen Spekulationen über die Person des Malers Anlass gab. Unter Einbezug der neuesten, in Fachkreisen nicht unumstrittenen Forschungsergebnisse rekonstruiert nun der Prestel-Band des Kunsthistorikers Horst Ziermann den schwer greifbaren Lebensweg des Malers und die bisweilen nicht weniger abenteuerliche Geschichte seiner Werke, von denen zahlreiche zerstört, nur noch in Kopien greifbar oder gänzlich verschwunden sind. Neben frühen und späten Zeichnungen beziehungsweise Tafelbildern sind dem Heller-Altar, dem Isenheimer Altar, dem Maria Schnee-Altar und Grünewalds fruchtbarer Zeit in Mainz (Klein Kruzifix, Altäre im Mainzer Dom und Erasmus-Mauritius-Tafel) spezielle Kapitel gewidmet. So entsteht das umfassende Porträt eines faszinierenden Werks, das bis heute unanfechtbar strahlt -- und das neben dem des zweiten Großmeisters der "deutschen Renaissance", Albrecht Dürer, unbedingt bestehen kann. Dabei führt Ziermann seine Leser kundig durch das Labyrinth einander oftmals widersprechender Deutungsansätze. Imposant sind auch die reproduktionstechnisch exquisiten Abbildungen zum schmalen Werk des großen Renaissancekünstlers, die auf bestimmte Details der Gemälde aufmerksam machen -- die "Modernität" Grünewalds wird so deutlich offenbar. --Thomas Köster Quelle:
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