Der Mann spielt in der künstlerischen Welt, die ganz dem Eros hingegeben ist, eine Nebenrolle. Cocteau spielt jedoch als einer der bedeutendsten schwulen Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts, eine Hauptrolle. Sein zeichnerisches Werk ist vielen unbekannt, obschon viele Jean Cocteau (1889-1963) als Schriftsteller, Lyriker, Verfasser von Theaterstücken, Kritiken, und als Filmregisseur (Orpheus-Trilogie) kennen. Ihn verbanden enge Freundschaften mit Jean Genet und Marcel Proust. Er gilt als Provokateur seiner Zeit, als Enfant terrible und Avantgardist der 20er-Jahre. In einem 1924 in Paris geführten Interview mit Frau Doumerge, der Frau Präsidentin, lenkt Kurt Tucholsky das Gespräch: "Und Sie erlauben, gnädige Frau", sagte ich. "Was halten Sie von der französischen Kunst?" -- "Europa stagniert", sagte sie. "Ist es bei Ihnen anders? Die Leute vertreiben sich auch hier die Zeit, wie sie können -- sogar die Dichter malen bei uns vor Langeweile. Haben Sie die Zeichnungen von Jean Cocteau gesehen? Eine lustige Sache." Annie Guédras, Herausgeberin und Nachlassverwalterin, arbeitet an der Erstellung eines kompletten Werkverzeichnisses. Die erotischen Zeichnungen sind jedoch nur ein schmaler Ausschnitt aus Cocteaus Bildern. Ein charmant komponiertes Werk, unter anderem mit Erstveröffentlichungen. Dominique Marny, die Großnichte Cocteaus versteht es, dessen inneren Zwiespalt und die Dramatik um die Figur des Dargelos zu beschreiben. Annie Guédras macht diesen immer wieder verständlich. In die Anordnung der Zeichnungen fügen sich die Textauszüge aus der Neuauflage von Le Livre blanc, den Vocabulaire-Poèmes und aus Plain-Chant gut ein. Zu sehen sind junge Fantasien, Matrosen, Ringer, griechische Figuren, Umarmungen, Radfahrer, einzelne Faune und Fischer aus überzeugenden Perspektiven. Der Stil und die Linienführung mögen variieren, doch die Bilder aus vier Jahrzehnten strahlen alle von einer gewaltigen inneren Kraft, die Sehnsucht nach Leidenschaft und Begierde. Und diese ist offensichtlich: große, unbeschnittene Schwänze. "Ich habe immer das starke Geschlecht geliebt und finde es legitim, es das schöne Geschlecht zu nennen." (Jean Cocteau) --Mathias Mahler Quelle:
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