Die Evolutionspsychologie wird zuweilen der "Dernier Cri" der wissenschaftlichen Mode genannt. Aber in ihrer kontroversesten Form ähnelt sie eher des Kaisers neuen Kleidern. Geoffrey Miller ist einer der radikalen Umdenker, die sich bemühen, das Phänomen in ein anderes Licht zu rücken. In seinem Buch Die sexuelle Evolution. Partnerwahl und die Entstehung des Geistes nimmt er Darwins "andere" Evolutionstheorie -- die der sexuellen Auslese, im Gegensatz zur natürlichen -- und baut sie zu einer Theorie darüber aus, wie der menschliche Geist den hohen Entwicklungsstand erreicht hat, sodass sexuelle Auswahl und die Verfeinerung von Kunst, Moral, Musik und Literatur gefördert werden. Während viele Evolutionspsychologen den Geist als Schweizer Taschenmesser, und die kognitive Wissenschaft ihn eher als Computer betrachten, vergleicht ihn Miller mit einem Unterhaltungssystem, das dazu dient, andere Hirne zu stimulieren. Es ist ein Schwindel erregend ehrgeiziges Projekt, das an Studien wie Richard Dawkins' Das egoistische Gen anknüpft und das ohne die Genialität und Despektierlichkeit, die ihm Miller verleiht, schrecklich vage daherkäme. Durchdrungen von zeitgenössischen Populismen, verbindet das Buch Theorien über unkontrollierte Auslese, Eignungs-Indikatoren und sensorische Bevorzugung mit Erklärungen darüber, warum Männer mehr Trinkgeld geben als Frauen, und wie weibliche Auswahl den Penis geformt hat (im wahrsten Sinne des Wortes). Es geht sogar so weit, die Klugheit von Mary Poppins zu rühmen. Miller lässt seine Ideen derart hervorsprudeln, dass er Gefahr läuft, dass sie für leeres Gerede gehalten werden. Die Tatsache, dass große Persönlichkeiten genauso sexuell anziehend wirken wie übergroße Brüste oder Bizepse mag in der Tat beruhigen. Aber die Chemie der Sexualität aufzudecken kann eine seltsam unerotische Angelegenheit sein -- vergleichbar mit der Analyse von Humor. Aber als Balzvorführung von Millers intellektuellem Gefieder ist Die sexuelle Evolution beachtlich. Wenn sein wahlloser Sammeltrieb auch gelegentlich nur Talmi ans Tageslicht fördert, so bietet er doch einen zugänglichen und interessanten Einblick in den modernen Darwinismus. Wer am meisten Sexappeal hat, überlebt. --David Vincent Quelle:
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