Anne Strehlau, die IcherzĂ€hlerin in Karen Duves Roman, weiĂ es genau: "Wenn du dir von einem Mann eine Kassette aufnehmen lĂ€sst, erfĂ€hrst du mehr ĂŒber ihn, als wenn du mit ihm schlĂ€fst." Heutzutage, der Rezensent beklagt dies aus tiefstem Herzen, sind liebevoll selbstgebastelte Tapes leider ein Auslaufmodell. In den Jahren, von denen Duve uns erzĂ€hlt, war CD eine Seife und sonst nichts. Sechs Kassetten von sechs Liebhabern hat Anne Strehlau im GepĂ€ck, als sie nach London reist, um Peter Hemstedt, ihre unerwiderte Jugendliebe, ein letztes Mal zu treffen. Vor wohl 20 Jahren hatte Hemstedt sein Desinteresse musikalisch bekundet; auf dem Tape fĂŒr Anne lieĂ er Ex-Pistols-Chef John Lydon "This Is Not A Lovesongâ nölen. Auch die restlichen fĂŒnf BĂ€nder dokumentieren vor allem eins: missglĂŒckte Liebesversuche. Wenn Duve hier Popmusik zum ErzĂ€hlanlass einer Frauenbiografie macht, liegt sie einigermaĂen im Trend: Sentimentalische Jugenderinnerungen aus den 70er- und 80er-Jahren boomen in Ost wie West, die Sache mit der Musik lĂ€uft ohnedies bestens: Verschwende deine Jugend, der Doku-Roman des Journalisten JĂŒrgen Teipel ĂŒber die frĂŒhen Tage von Punk und New Wave in Deutschland, avancierte zum Bestseller und wird eben verfilmt; die DĂŒsseldorfer Kunsthalle zeigt unter dem Titel ZurĂŒck zum Beton eine Ausstellung zum Thema. Das alles ist mehr oder weniger mĂ€nnerdominierte Heldengeschichtsschreibung; Anne Strehlau weiĂ anderes zu berichten: "Kate Bush!", muss sie sich etwa von einem entsetzten Lover vorhalten lassen. "Du hörst Kate Bush?" Anne ahnt: "Wenn Diedrich Diederichsen mit mir schlief, wĂŒrde ich in Hemstedts Augen an Wert gewinnen." Bisweilen drastisch und mit ausgeprĂ€gtem Sinn fĂŒr Situationskomik begleitet Karen Duve das Erwachsenwerden ihrer von Selbstzweifeln geplagten Heldin, wĂŒrdigt sie aber nie zur bloĂen Karikatur herab. Mit Anne erleben wir die DemĂŒtigungen des ersten Sportunterrichts, DiĂ€tterror und Schokoladenrausch, Liebeskummer, spĂ€ter erste Ausbruchsversuche als Tramperin und Taxifahrerin. Seine zweifellos stĂ€rksten Passagen hat das Buch in der Beschreibung von Annes Kindheit und Jugend im "spĂ€ten Wirtschaftswunderhaus" der Familie in Hamburg-Barnstedt: Die grieseligen TV-Bilder der Mondlandung, das "Froschhospital", in dem die Kinder die von Nachbars RasenmĂ€her verstĂŒmmelten Tiere mit Tesaband heilen wollen, verrutschte KĂŒsse von Jungs, aus deren Jeansweste der Plastikstiel einer HaarbĂŒrste ragt: "Wie RotkreuzsanitĂ€ter die leichter Verwundeten von einem Schlachtfeld, fĂŒhrten uns die Jungen ins Partyzelt und legten uns auf den Matratzen ab." Leider hĂ€lt Duve dieses erzĂ€hlerische Niveau nicht ĂŒber alle 280 Seiten ihres Buchs durch; Annes spĂ€tere Erlebnisse in Therapiegruppen und Sado-Maso-Clubs bieten kaum mehr als mĂ€Ăige Kolportage und bereichern den Roman nicht wirklich; auch Peter Hemstedt hĂ€tten wir am Ende lieber als jugendlichen Helden und Kassetten-Virtuosen in Erinnerung behalten. Dass dieser Ritter vom guten Geschmack nun Die Nebel von Avalon und das GroĂe Sommer-Reise-Lesebuch im Regal stehen hat -- wirklich zu dumm. --Niklas Feldtkamp Quelle:
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