Geschnittene Gemüsemelonenscheiben baumeln im grauen Hinterhof wie Wäsche an der Leine. Im Teehaus eines Dorfes lassen die Männer nach der Arbeit die Teekanne kreisen. In der Nudelfabrik werden die Teigwaren mit Ventilatoren getrocknet. Junge Mädchen zeigen sich im kunstledernen Disco-Outfit, der ganze Schweinskopf steht auf dem Küchentisch: So unterschiedlich die Fotomotive dieses sagenhaften Bildbandes China im Wandel auch sind: Jedes für sich dokumentiert eindringlich die Lebenswirklichkeit im heutigen Reich der Mitte -- ein überraschendes Potpourri an fremden Riten, Düften, Traditionen, die einem vor allem das Gefühl vermitteln, einen geheimen, fast verbotenen Blick hinter die offiziellen Fassaden des kommunistischen Riesenreiches zu erhaschen. Möglich werden die magischen Momente, die einem dieser Bildband beschert, durch die Erzählperspektive von Harald Maas. Der Autor ist China-Korrespondent der Frankfurter Rundschau und Einwohner der Hutongs, jener Gassen im alten Peking, die fernab vom feinen Ausländerviertel liegen. Die Fotografien stammen von Michael Wolf, der ebenfalls in China lebt. Beide enthalten sich vorschneller Wertungen, lenken den Leser durch Bilder und zusammengetragene Fakten. Behutsam spüren sie das alte China auf, das -- so sagen sie -- nur noch in den Nischen entlegener Bauerndörfer oder vergessener Städte existiert. Und ebenso behutsam dokumentieren sie den Rausch der Modernisierung, der das Land und das Leben der Chinesen im Moment nachhaltig verändert. So intensiv wie die Fotografien sind die Texte, die jeweils auf Doppelseiten ganze Geschichten erzählen; etwa vom Städtchen Pingyao, das seine mehr als fünfhundert Jahre alte Mauer abreißen wollte; vom armen Bauern Yang Zailin, der dem Marxismus hinterherträumt; vom Neujahrs-Essen der Familie Zhen und vom Tod in Weiß, dem traditionsreichen Begräbnisritual, das derzeit eine Renaissance erlebt. Zweifelsohne erschließt sich das Reich der Mitte unserem westlichen Blick nicht eben leicht. Dennoch vermögen es die Autoren des Bildbandes, Herz und Verstand Richtung Osten zu öffnen. Bravo! --Dorothea Fröhlich Quelle:
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