Der deutschsprachige Kriminalroman hat es nicht leicht: Entweder gilt er als zu bieder, oder die Verbrechen, die er schildert, werden in diesem Land selten für möglich gehalten. Genau solche Vorurteile bricht Horst Eckert mit seinem Roman 617 Grad Celsius auf: Die junge Düsseldorfer Kripobeamtin Anna Winkler stammt aus einer angesehenen Familie und wohl situierten Verhältnissen. Ihr Vater ist ehemaliger Polizist und Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen, ihr Onkel gar Ministerpräsident des Landes. Anna befindet sich seit einiger Zeit in einer tiefen Existenzkrise. Vor mehr als einem Jahr brachte der brutale Mord an dem jungen Maler Daniel, der wie ein Bruder für sie war, ihre Welt ins Wanken. Zwar trug sie zur Verurteilung des mutmaßlichen Täters bei, entzog sich der persönlichen Katastrophe aber durch einen Auslandseinsatz in Bosnien. Erst als ihr genauso geliebter wie übermächtiger Vater kurze Zeit später einen Herzanfall erleidet, kehrt sie abrupt aus Bosnien zurück. Kaum angekommen und wieder im Polizeidienst wird Anna zu der Untersuchung einer Gasexplosion hinzugezogen, bei der mehrere Menschen ums Leben gekommen sind. Bald wird klar, dass die Explosion in einem leer stehenden Wohnhaus nur arrangiert wurde, um den Mord an einem angesehenen Kunstprofessor zu vertuschen. Während den Ermittlungen stößt sie auf überraschende Zusammenhänge mit dem ominösen Selbstmord eines erfolgreichen Musikers vor mehr als zwei Jahrzehnten. Weitaus schlimmer sind für sie allerdings die Erkenntnisse, dass es Zusammenhänge zwischen den drei Todesfällen geben muss; Zusammenhänge, die nicht nur auf dunkle Punkte in der Polizeivergangenheit ihres Vaters, sondern auch auf weitere ungeklärte Fragen ihrer Familiengeschichte hinweisen ... Horst Eckerts insgesamt achter Roman um sein Düsseldorfer Polizeidezernat ist mehr als nur ein routiniert geschriebener Polizeiroman. In Rückblenden, die bis in die 70er Jahre zurückreichen, erzählt Eckert auf fast lakonische Weise den moralischen Zustand einer Gesellschaft anhand einer genauso bitteren wie beispielhaften Familiengeschichte. Bezeichnet 617 Grad Celsius ursprünglich den Punkt, an dem sich Erdgas entzündet, so umschreibt der Titel hier vielmehr bildlich den Siedepunkt einer Gesellschaft und ihren drohenden Zerfall. Hier nun angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation in Nordrhein-Westfalen, das in den letzten Jahren von Korruption und Bestechungsskandalen erschüttert wurde, einen Schlüsselroman herauslesen zu wollen, ist überflüssig. Horst Eckert zeichnet durch den Leidensweg seiner starken Heldin Anna Winkler ein genauso menschliches Porträt der persönlichen Wahrheitsfindung wie auch ein Sittengemälde politischer Korruption, deren Hintermänner mit großer Selbstverständlichkeit Existenzen zerstören und zur Not auch über Leichen gehen. --Christian Koch Quelle:
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