Paul Spiegel ist vermutlich der letzte Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, der das Dritte Reich und den Holocaust (wenn auch sehr jung) miterlebt hat und somit aus eigener Anschauung kennt. Ausgerechnet ein SS-Mann hatte ihn, gegen bares versteht sich, über die Grenze nach Belgien bugsiert und ihm wohl damit das Leben gerettet. Die ältere Schwester kam im KZ um. Die Eltern schlugen sich durch, mit Rückendeckung wohl gesinnter Nichtjuden. Nach dem Krieg geschah dann, was man sich nur schwer vorstellen konnte und der Jüdische Weltkongress gar unterbinden wollte: Es blieben Juden im Land der Täter und bildeten Gemeinden. Großbritanniens Palästina-Politik, erschwerte Einwanderungsmöglichkeiten in vielen Ländern und nicht zuletzt die heimatliche Verbundenheit der deutschen "Jeckes" sowie deren Trotz (Hitler sollte nicht auch noch nachträglich Erfolg haben!) trugen dazu bei. Heute ist, dank des Zustroms aus dem Osten, die jüdische Bevölkerung hier zu Lande die am schnellsten wachsende Westeuropas. Wie seine Vorgänger, die er übrigens sehr ansprechend und liebevoll porträtiert, befindet sich Spiegel im Dilemma, inwieweit er den gesellschaftlichen Verhältnissen über den Weg trauen kann. Die drastische Zunahme von antisemitischen Anschlägen oder auch Martin Walsers Paulskirchen-Rede (und vor allem der stehende Applaus dazu) sind nicht von Pappe. Da werden schon mal Zweifel laut, ob es überhaupt gut war, sich hier wieder niederzulassen. Dennoch teilt Spiegel die Ansicht der Mehrheit, dass Hitler eine Art Unfall der Geschichte, ein grober Ausrutscher war. Die Fixierung auf die Naziverbrechen sei kontraproduktiv, vielmehr müsse das Positive aus der zweitausendjährigen gemeinsamen Geschichte gezogen und für die Zukunft fruchtbar gemacht werden. Dabei hülfe ein aus der 68er-Bewegung neu entstandenes, solides demokratisches Bewusstsein. Pfeifen im Walde? Die Skepsis scheint zu überwiegen, wie das Fragezeichen im Buchtitel andeutet. --Jürgen Grande Quelle:
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