Es muss Frühling sein. Das traditionelle Risi e Bisi findet sich seit Jahrhunderten am 25. April zu Ehren des heiligen Markus auf allen Tellern Venedigs. Wenn die Steinpilze, die Funghi Porcini, auf den Tisch kommen, hat sich der Sommer über die Stadt gelegt. Im Herbst schmort das Ragout vom Reh in seiner nach Zimt, Wacholder und Salbei duftenden Sauce. Die rustikalen Gnocchi di Polenta, herzhafte Polentaklößchen mit Zimt, lassen den Winter leichter verschmerzen. Vielleicht streifte im bitteren Winter 1741, dem letzten seines Lebens, Antonio Vivaldi im fernen düsteren Wien die Erinnerung an diese Düfte und Aromen seiner Heimatstadt noch einmal. Wenige Monate später starb der Schöpfer der Vier Jahreszeiten, verarmt und unbeachtet. Dr. Eva Gesine Baur, sowohl Musikwissenschaftlerin als auch der Kultur des Kulinarischen verhaftet, gelang ein reizvolles, dreischichtiges Porträt: In ihrem poetischen Spaziergang stellt sie Blütezeit und Niedergang der Lagunenstadt dem weit gehend unbekannten Lebensweg Vivaldis gegenüber -- und präsentiert entlang seiner Quattro Stagioni, dem Hauptwerk des Komponisten, eine Auswahl der klassischen venezianischen Jahreszeiten-Küche. Vivaldi, der große Unbekannte, wird ans Licht geholt. Wir erleben einen getriebenen, ambivalenten Charakter, wurzellos zwischen Priesterdasein und ausschweifendem Lebensstil changierend. Selbst Bach ließen die strahlenden Klänge des komponierenden Wundergeigers aus Italien aufhorchen. Nahtlos lässt sich Vivaldis Sujet der Jahreszeiten, als symbolisches Bild des Werdens und Vergehens, auf den Rhythmus der Natur und die Küche der Serenissima übertragen. Umrahmt von den berühmten Blumen- und Gemüseporträts des Malers Giuseppe Arcimboldo, beginnt eine Reise ins bewusste Genießen und damit der Abschied von Fastfood und Hintergrundgedudel, von Beliebigkeit und Gleichgültigkeit. Flankiert werden die über 70 robusten Saisongerichte von Giosanna Crivellis und Thomas Klingers stimmungsvoll-melancholischen Venedig-Fotografien. Fast schon quälend schön wird der Sinnenrausch beim Hören der beigefügten CD, einer strengen, weniger verspielten Aufnahme der Quattro Stagioni unter Lorin Maazel. --Ravi Unger Quelle:
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