Die Manchette-Ausgabe innerhalb der Série Noire im rührigen Distel Verlag schreitet zügig voran. Mit Westküstenblues liegt bereits der siebte Roman des französischen Kultautors in Neuausgabe vor. Und wieder einmal stellt sich angesichts der Unbarmherzigkeit, mit der Manchette seine Figuren in die Mangel nimmt, die Frage, warum wir trotzdem immer wieder zu seinen Büchern greifen. Georges Gerfaut kann mit seinem Leben zufrieden sein: Er hat einen gut bezahlten Job, eine attraktive Frau und zwei leidlich wohl erzogene Kinder. Diese nicht unbedingt spannende, aber durchaus angenehme Existenz wird ausgerechnet während eines beschaulichen Sommerurlaubs in Frage gestellt -- am überfüllten Strand versuchen zwei Männer ihn zu ertränken. Georges überlebt, doch niemand scheint etwas bemerkt zu haben und er muss sich fragen, ob er nicht doch alles nur geträumt hat. Überstürzt verlässt er seine Familie und kehrt in seine Pariser Wohnung zurück. Kurz darauf kommt es jedoch zu einem erneuten Anschlag, in dessen Folge Georges endgültig aus seinen Lebenszusammenhängen herausgerissen wird. Ihn selbst verwundert es am meisten, wie schnell er sich den veränderten Umständen anpasst. Sein bisheriges Dasein rückt in weite Ferne, fast scheint für ihn ein chinesischer Fluch Wirklichkeit geworden zu sein: "Mögest du in interessanten Zeiten leben." In diesem erstmals 1977 erschienenen Roman treibt Manchette seinen erzählerischen Reduktionismus auf die Spitze: Mit kurzen Sätzen und knappen Dialogen peitscht er die Handlung voran, hält Protagonisten wie Leser durch gekonnte Szenenwechsel in Atem und führt den Roman zu einem furiosen Finale. Dabei sind die gesellschaftlichen Verhältnisse im Frankreich der 70er-Jahre stets präsent, Manchettes Figuren agieren nicht im Vakuum, sondern vor einem kurz und prägnant gezeichneten Hintergrund. Dass Georges' ungewöhnliche Erlebnisse dadurch nur noch glaubhafter wirken, zeigt die Meisterschaft des Erzählers Manchette. --Hannes Riffel Quelle:
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